Andorra, ein Stück in zwölf Bildern von Max Frisch, ist ein Panoptikum der Vorurteile, welche die Personen in diesem Stück deutlich kundgeben. Antisemitismus, Rassismus und Xenophobie werden hier ganz klar vorgestellt. Das sind eigentlich Probleme, mit denen die Welt auch heutzutage kämpft. Jeder Fremde im Ausland könnte davon was erzählen, glaube ich, meinen Erfahrungen nach. Barblin hat in „Andorra“ das erste und das letzte Wort und sie ist die einzige Person, die Andri mag.
Dieses hübsche Mädchen ist ein normales Mädchen, das nicht sehr groß oder kräftig ist. Das kann man behaupten, weil sie ohne größeren Widerstand vergewaltig worden ist – Andri kann nichts hören (S. 51fff) – und weil sie auch ziemlich einfach aus der Judenschau weggeschleift wird (S. 116).
Ihr Gesicht muss sehr charismatisch ausschauen, da der Soldat schon im ersten Augenblick mit ihr fasziniert ist. Sie hat ein hübsches rotes Haar (S. 26) – das einzige äußere Merkmal, das im Stück festgestellt wird.
Ihre Kleidung schätze ich als typisch für ein Dorfmädchen. Damit meine ich keine teuren Kleider und auch kein Schmuck oder Schminke. Andorra ist de facto nur ein Dorf, denn es gibt nur ein paar Menschen die dort leben.
Außerdem ist Barblin sehr jung, konkret 19 Jahre (S. 11), aber es scheint, dass in ihrer Familie dieses Alter für eine Hochzeit reicht (Rede der Mutter S. 46). – Schon wieder ein Merkmal für ein Dorf eher als für eine Stadt.
Barblin ist verliebt und im ersten Teil des Stückes auch verlobt. Sie sagt das vielmals, dass sie verlobt sei (S. 7f). Dass sie in Andri auch verliebt ist – und das muss nicht unbedingt sein – kommt ans Licht, wenn sie Angst hat, dass die Schwarzen kommen und jeder Jude ins Genick geschossen wird (S. 12). Dem Soldaten sagt sie auch ganz deutlich, dass sie ihn nicht möge (S. 8f) und Ähnliches sagt sie dem Pater: dass dieser Peider bei ihr kein Glück habe (S. 11). Dann widerspricht Barblin sich selbst aber, wenn sie sagt, dass sie zu den Soldaten gehe, wenn sie Andri nicht heiraten kann (S. 46). Später wird erklärt, dass Andri und Barblin den gleichen Vater haben und deshalb können sie nicht heiraten.
Barblin ist überhaupt nicht dumm. Dass zeigt sie, als sie Andri beruhigt (S. 25ff). In dieser Situation könnte sie schnell sauer werden – er weiß nicht, ob er sie liebt – aber bleibt ruhig und versucht, ihn auch zu überzeugen, dass er sie doch liebe und dass er den anderen nicht zuhören solle. Es ist mir aber nicht ganz klar, warum sie nicht sagt, dass sie vergewaltigt worden ist und nur schweigt (S. 98).
Barblin ist gar nicht gleichgültig gegenüber Schicksal Andris. Das kommt am deutlichsten während der Judenschau vor, wo sie Andri retten versucht und glaubt, dass sie ein Verständnis den versammelten Menschen findet: „Kein Andorraner geht über den Platz! Keiner von uns! Dann sollen sie uns peitschen. Sag’s ihm! Dann sollen sie uns alle erschießen.“ (S. 116)
Am Ende des Stückes wird Barblin verrückt, weil sie ihren Andri verliert. Und was noch schlimmer ist – nur weil Andri ein Jude gewesen ist. „Hier sind seine Schuh. Rührt sie nicht an! Wenn er wiederkommt, das hier sind seine Schuh,“ sagt sie als das letzte Wort (S. 127).
Die Botschaft dieses Stückes ist zeitlos. Heute genauso wie im Dritten Reich und auch früher in der Geschichte zeigen viele Leute ihre Niedrigkeit und Eselei, wenn sie einen richten bevor sie ihn kennen lernen. Mir fällt nichts ein, was dagegen sprechen sollte. Man soll sich kein Bildnis machen, wie wird schon im 2. Gebot gesagt. Ohne Vorurteile – und das wird betont – an beiden Seiten geht die Integration der Fremden schneller und glatter. Meiner Meinung nach wollte Max Frisch genau die Dummheit einiger Menschen zeigen und wusste, dass sie zeitlos ist.
Literatur: Max Frisch, Andorra (st 277, Erste Auflage Frankfurt 1975)